Das Werden der Pfarre

Vorgeschichte: Jahrelange Verhandlungen

Als 1876 die neue Schule fertig gebaut war, schrieb der Pfarrer von St. Peter, Franz Egerer, nach St. Pölten um die amtliche Bewilligung zur Einweihung. Bei dieser Gelegenheit äußerte er bereits schriftlich Gedanken über eine neue Pfarre. Er schreibt: "Schließlich will der gehorsamst Gefertigte nicht unerwähnt lassen, daß der Schulgemeinde Rockenbichl, wie die Sage geht, die Hoffnung gemacht worden ist, es werde bei dieser Schule eine Kirche erbaut und eine Pfarre errichtet werden. Der ergebenst Gefertigte glaubt auch zu wissen, daß schon beim hochsel. Bischof J. Fessler vom k. k. Bezirkshauptmann in Amstetten eine Anfrage gemacht worden ist.

Auch der Bau einer Kapelle, dann der Bau einer Filialkirche wurde in Erwägung gezogen. Für den Bau einer Kapelle könnte der ergebenst Gefertigte nie ein Votum abgeben; derselbe wünscht aber sehr, der liebe Gott wolle es fügen, daß die Schulkinder und die Erwachsenen im Schulbezirk Rockenbichl die Möglichkeit erhalten in einer näheren Kirche an Sonn- und Festtagen dem Gottesdienst beiwohnen und die heiligen Sakramente empfangen zu können.... 28. 7. 1876 Franz Egerer, Pfarrer".1) Postwendend erwähnt das bischöfliche Ordinariat in St. Pölten neben der Vollmacht zur Schulsegnung die Möglichkeit zum Bau einer "neuen Kirche in Rockenbichl" unter bestimmten Bedingungen. 2)

Ertl 1902

Im Februar 1880 schrieb der Ortsschulrat der Volksschule an den Herrn k. k. Statthaltereirat einen Brief mit der Bitte, eine Kirche bauen zu dürfen: "Längst schon fühlten die Bewohner der Schulgemeinde Dorf St. Peter in der Au den Mangel einer nahegelegenen Kirche.... Wie gerne würden die christlichen Bewohner der Gemeinde in den Wintermonaten, wo die Arbeit eine bedeutend geringere ist, auch an Wochentagen einer heiligen Messe beiwohnen. ... Und immer mehr und mehr drängt sich der Wunsch, in der Nähe der Schule auch eine Kirche zu haben, in die Herzen der Bewohner. ... So wagen sich die Gefertigten im Namen der ganzen hiesigen Bevölkerung mit der Bitte an Sie, hochgeehrter Herr k. k. Statthaltereirat, dieselben in dieser Angelegenheit zu unterstützen und ihnen mit Rat und That beistehen und forthelfen zu wollen. ... 22. 2. 1880 Johann Holzner, Sebastian Krendl, Georg Mayerhofer, Georg Neger, Josef Pfaffenbichler; Antokovich, Oberlehrer.3) Dieses Schreiben wurde von den Behörden nicht ernstgenommen und ad acta gelegt. Die Kirchenvermögensverwaltung St. Peter/Au bringt im März 1880 einen weiteren Vorschlag vor das bischöfliche Konsistorium in St. Pölten: Mit dem Einverständnis des Pfarrpatrons Arthur Graf Segur könnte der südlichste Teil der Pfarre St. Peter mit samt der Schule nach St. Michael eingepfarrt werden. 4) Nach einer Anfrage in Seitenstetten kann sich Abt Dominik ein solches Unterfangen nur unter einigen Bedingungen erstellen, etwa eine Übernahme der neuen Kirche auf "vorerst 7 Jahre", oder: Ein Aufenthaltslokal in der Nähe der Filialkirche für den Herrn Kooperator. "Die Anweisung eines solchen Lokales aber in einem - voraussichtlich wohl bald bei der Kirche entstehenden - Gasthause könnte er nicht acceptieren." 5)

Im November 1880 reicht beim bischöflichen Konsistorium plötzlich die Kirchenvermögensverwaltung in Einvernahme mit dem gräflichen Kirchenpatron einen Plan zum Bau einer Kapelle ein.

Plan der Kapelle um 1880Der Plan stammt von J. Schörghuber, Maurermeister, und ist datiert: Aschbach am 21. 10. 1880 (siehe Abb.); ebenso liegt der Kostenvoranschlag von 11515 Gulden, 14 Kreuzer auf. Der "sehr verläßliche Maurermeister Michael Lackenschweiger" könnte dieses Bauvorhaben binnen Jahresfrist in Angriff nehmen. 6) Herbeischaffung des Materials und Robott könnten die Bewohner der Schulgemeinde übernehmen. Im Jänner 1881 erinnert der Ortsschulrat nochmals das bischöfliche Konsistorium in dieser Angelegenheit: "es möge die Gnade haben, allergütigst zu bewerkstelligen, daß der erwähnte Bau einer neuen Kirche doch zu Stande kommen und vielleicht bald seinen Anfang nehmen könne.... 18. 1. 1881, Engelbert Flachenegger, Obmann des Ortsschulrathes". 7)

Ob dann, wie oft berichtet, 1887 wirklich eine Kapelle in Ertl errichtet wurde, ist unwahrscheinlich. Der Bau ist meiner Meinung nach nie zustandegekommen, weil erstens keine Erwähnung zum Bau oder zur Einweihung aufzufinden sind, zweitens Pfarrer Egerer einen Kapellenbau ausschloß (siehe oben) und drittens das Grundstück, auf dem heute die Kirche steht, erst später (1899) der Kirche vermacht wurde, mit der Widmung, hier eine Kirche erstehen zu lassen. 8) Um 1894 liest man in der Chronik der Pfarre St. Peter in der Au folgendes: Der Ortsschulrat schrieb an Pfarrer Egerer und legte die Gründe dar, welche die "Erbauung einer Kirche nächst der Schule" 9) wünschenswert erscheinen ließen. Pfarrer Egerer befürwortete das Projekt, und Maurermeister Lakenschweiger fertigte einen Plan an und dazu einen Kostenvoranschlag von 11069 fl. 74+. "Die diesbezügliche Eingabe an die Behörden scheinen aber ... in den Papierkorb gewandert zu sein, denn es erfolgte keine Erledigung." 10)

Wenn auch der Bau der Kirche auf sich warten ließ, so wurden doch in diesen Jahren einige Kapellen erbaut: 1882 im Oberliergl 11), 1884 im Schönegg 12), 1884 im Schweinegg 13), 1891 im Rexnitzgraben anstelle eines 1854 errichteten Holzkreuzes.14)

1899 wurde von den Eheleuten Josef († 1890 mit 82 Jahren) und Juliane († 25.3. 1899 mit 61 Jahren) Seyrlehner (geb. Scharweger), Besitzer am Roggenbichl, 2 Joch Grund für den Bau einer Kirche in Ertl testamentarisch vermacht. 15) Ein Geschenk als Grund für die Gemeindebildung, ein Grundstück, auf dem sich bis heute die ganze Gemeinde Ertl versammelt.

Der Bau der Kirche

Mit der Verlegung der Schule von Peilstein in das leichter erreichbare Tal (1876) war nun nicht mehr der Pfarrer von St. Michael, sondern der Pfarrer von St. Peter für den gesamten Religionsunterricht verantwortlich. Mit dem Roßfuhrwerk ließ sich der Pfarrer meistens vom Prehofer nach Ertl hineinführen, was auch immer bezahlt werden mußte (jährlich 200 Gulden). Damit die Schüler aber einen lebendigen Bezug zur Kirche erhalten, soll wenigstens eine Kapelle bei der Schule erbaut werden. Dieser Plan wurde jedoch von vornherein größer angelegt und zielte schon auf eine neue Pfarre.16)

Der Kirchenbau-Verein Ertl, Dorf St. Peter in der Au

Es war Ostern 1900. In der Dorfschule St. Peter fand die "constituierende Versammlung zur Gründung eines Kirchenbau-Vereines" 17) statt. Florian Schweiger, der Oberlehrer, hat brauchbare Statuten ausgearbeitet und bereits die Genehmigung durch die k. k. n. ö. Statthalterei erwirkt. Oberlehrer Schweiger berichtet darüber in dieser 1. Sitzung am Ostermontag. "Darauf begrüßt der Pfarrer von St. Peter als Ortsseelsorger die Versammelten und setzt in einer kurzen Ansprache Zweck und Ziel des Vereines auseinander und ermunterte zur regen Theilnahme. 18) Danach wurde die Gründung beschlossen und sogleich ein Obmann, Kassier und Schriftführer gewählt. Mit größtem Eifer ging man daran, eine Kirche, eventuell spätere Pfarrkirche, zu bauen. Der Schreiber der Pfarrchronik meinte jedoch: "Wird wol noch viel Wasser in der Url herausfließen müssen bis das geschehen kan u. wird." 19)

Correspondenzkarte des Kirchenbau-Vereines um 1903Bereits 1901 wurde mit dem Bau des Presbyteriums begonnen. Viele halfen mit, vor allem die Vereinsmitglieder. Sogar der Dechant von Haag, Johann Höllrigl, hat mitgeholfen. Und das Jahr darauf (1902) wurde das Presbyterium vollendet und der Turm bis zur Dachhöhe fertiggestellt. Wie auf dem Bild ersichtlich, hat man provisorisch das Presbyterium mit einem Bretterverschlag verschlossen und die Kapelle mit einem hübschen gotischen Altar ausgeschmückt. Diesen spendete der Apotheker in Haag. Am 5. August 1902 war die Einweihung der Kapelle und die erste hl. Messe. Eine unüberschaubare Menschenmenge war gekommen. "Hier liegt vor deiner Majestät" wurde als Meßlied gesungen. Die Musik stellte die FF St. Peter. Am Altar standen der Prior von Seitenstetten, P. Salesius Fröschl, der Pfarrer von St. Peter und ein Stiftspriester. "Pöllersalven verkündeten den Eintritt der Haupthandlung während der hl. Messe weithin ins Thal." 20) Nach der Messe wurde noch der Kreuzweg feierlich geweiht und auch gleich gebetet. In der Kirche waren bereits alle Gegenstände vorhanden, die auch heute noch vorhanden sind: Hochaltar, Speisgitter (heute zur Chortür verarbeitet), Kreuzwegbilder, Taufstein, eiserne Schneckentreppe. 21)

Kirchweihe am 5. August 1902So feierlich die Stimmung auch war - bald sollte sie gehörig getrübt werden. Es war im Jänner 1904 und Generalversammlung des Kirchenbauvereins. Der Vereinsobmann Karl Steinwendtner und der Kassier Josef Kleindessner legten wie jedes Jahr die Rechnungsbelege vor und erfuhren eine Ablehnung. "Das geschah alles, weil sich bei den Vereinsmitgliedern gewichtige Bedenken über die Richtigkeit der vorgelegten Rechnungen sowie über die Gebarung des Vereinsvorstandes und Kassiers geltend gemacht hat." 22) Außerdem wurde beschlossen, daß der Vereinsvorstand alle drei Jahre neu gewählt werden müsse; nicht zur Freude des Obmannes und des Kassiers. Kleindessner war sogar so empört, daß er die dem Verein gestundeten ca. 3000 Kronen eingeklagt hatte.

Die Sitzung wurde vertagt. Bei den folgenden Zusammenkünften wurde aber nur "feschest debattiert und gestritten". 23) Die ganze Angelegenheit wurde schließlich vor Gericht weiter ausgetragen, vom Bezirks- zum Landesgericht. Etwa einen Monat später (13. 2. 1904) fand im Kreisgericht St. Pölten eine Verhandlung statt, bei der der Verein verurteilt wurde und dem Kleindessner die geklagten 3000 Kronen und die Gerichtskosten zahlen mußte. Da der Verein kein Geld hatte, ließ Kleindessner das ganze Baumaterial (ca. 120.000 Ziegel, Bruchsteine und Holz) verpfänden und wollte es nach der Verfallzeit verkaufen.

Während sich dieses abspielte, saß Obmann Steinwendtner in Untersuchungshaft. Der Akt ging von St. Peter nach St. Pölten. Bald wurde er aber mangels an gewichtigen Beweisen eingestellt.

Zur Versteigerung des Baumaterials: Wer es ersteigert, muß alles binnen 14 Tagen wegschaffen. So lautete die Bestimmung des Vereins, der genau wußte, daß Kleindessner dies nicht zu leisten vermag; denn er hatte keinen rechten Platz und noch weniger Zeit. So konnte sich Kleindessner nicht an der Versteigerung beteiligen. Ferdinand Schörghuber ersteigerte alles um den Preis von 900 Kronen (obwohl es über 4000 K wert war), die dem Kleindessner ausbezahlt wurden. Inzwischen hat sich Kleindessner auch noch die eingegangenen Vereinsgelder (400 K) angeeignet. Trotzdem forderte er die restliche Summe von 1700 K ein, da er ja beim Kapellenbau eigenes Geld und auch Schmiedearbeiten geleistet hatte. Da der Verein das nötige Geld nicht hatte, forderte Kleindessner die Kapelle, beziehungsweise das Kirchengut ein. So wurde jetzt auch die k. k. Finanzprokuratur in Wien in diesen Prozeß hineingezogen. Nach und nach kam Licht in die ganze Angelegenheit. Und bei der Verhandlung am 23. Jänner 1905 im Landesgericht Wien wurde die Klage Kleindessners zurückgewiesen, und obendrein hatte er auch die Gerichtskosten zu tragen. Gegen dieses Urteil erhob Kleindessner Einspruch im Oberlandesgericht. Er wurde abgewiesen. Gegen dieses Urteil recurierte er nun an den Obersten Gerichtshof. Auch hier wurde er abgewiesen, jedoch mußte der Verein die 3000 K zahlen, d. h. nur noch 2100 K samt den laufenden Zinsen (ca. 200 K).

Ein Zwangsverwalter wurde von höherer Stelle eingesetzt. "Um aber diese Zwangsverwaltung bald wieder los zu werden, beschloß der Vereinsausschuß dem Kleindessner sofort den ausständigen Betrag zu bezahlen, was auch gleich ausgeführt wurde, indem der provisorische Vereinsobmann List den schuldigen Betrag samt Zinsen, ca. 2300 K, dem Verein borgte und bei Gericht auszahlte". 24)

Um die Schulden bezahlen zu können, wurde nun ein Sammler eingesetzt.

Seit 1906 zog Josef Schrammel (geb. 1858 in Linz; 48 Jahre) bei seinen Sammelgängen in ganz Niederösterreich herum. Eine Sammelbewilligung für Oberösterreich wurde 1908/9 abgelehnt. Acht Jahre lang zog dieser Bauer, wohnhaft in Weistrach, von Ort zu Ort. Jedes Jahr mußte der Verein um die Sammelbewilligung bei der k. k. n. ö. Statthalterei ansuchen (mit einer Fotografie des Josef Schrammel). 25) Ein Vorgang, der jedesmal leicht 10 Wochen dauerte. Aus Rechenschaftsberichten, die diesen Ansuchen beigelegt sind, können wir einiges weitere über den Kirchenbau und seinen Verein erfahren. "Das Vermögen des Kirchenvereins beläuft sich gegenwärtig (22. März 1907) auf circa 3000 K, und zwar ... 1400 K Barvermögen und Baumaterial im Werte von 1600 K. Von dem projektierten Baue ist bis jetzt nur das Presbyterium ausgebaut. Die Fundamentierung des Kirchenschiffes wird im Laufe dieses Jahres ausgeführt werden." 26)  

Maurermeister Ferdinand Pfaffenbichler aus St. Peter hatte die Bauaufsicht. Weil man befürchtete, daß die Kirche nach dem vorliegenden Plan zu klein werde, wurde sie um vier Meter verlängert. 27)

Im Frühjahr 1909 wurde der Ausbau des Turmes in Angriff genommen. Die Zimmerarbeiten leistete Franz Fuchshuber aus Behamberg. Bei all diesen Arbeiten wirkten die Mitglieder des Vereins tatkräftig mit. Als am 10. August 1909 ein Wolkenbruch über das Tal niederging, wurde durch das extreme Hochwasser auch einiges an Baumaterial weggeschwemmt. Dennoch konnte der Turm von Mai bis Mitte September fertiggestellt werden. Am 19. September 1909 wurde das Turmkreuz (angefertigt von Viktor Schachner, St. Peter, zum Preis von 850 K; 850 K kostete auch die Vergoldung, durchgeführt von Armin Steiner, Budapest) geweiht und aufgesetzt. Bei diesem Anlaß war auch Graf Alfred Segur, der Protektor des Kirchenbau-Vereins, anwesend sowie eine überaus große Volksmenge. 28)

Die beiden Bilder zeigen die Dachgleiche 1913

Die beiden Bilder zeigen die Dachgleiche 1913

Der Rechenschaftsbericht von 1910 erwähnt folgendes: "Der Verein hat derzeit 380 Mitglieder. Das Erträgnis der jährlichen Sammlungen beträgt durchschnittlich 3000 K. Bis nun ist das Presbyterium und der Turm der Kirche sowie das Fundament und Sockelwerk für das Kirchenschiff fertiggestellt. Der Voranschlag für die Vollendung der Kirche wird mit 52.000 K beziffert." 29)

In den folgenden Jahren wurde die Kirche fertiggestellt. Im Dezember 1913 zählt der Verein noch "176 Mitglieder", und "die Kirche ist bis auf den Chor, die Fenster und die Inneneinrichtung fertiggestellt". Der Schuldenstand beträgt 9000 K. 30) Baumeister Peter Rieder aus Steinakirchen am Forst vollendete den Bau 1913/14.

Die erste große Freude, welche die Ertler in der neuen Kirche erlebten, war die Mitternachtsmette, Weihnachten 1913. 31)

Kirchweihe am 26. Mai 1914

Die zweite große Freude war im Mai 1914. Am 25. Mai nach dem Mittagessen in St. Peter fuhr der Bischof Dr. Johannes Rössler nach Ertl und hielt die Religionsprüfung ab. "Am 26. Mai wurde die neue Kirche ,Zur Heiligen Familie' konsekriert. Während der Messe wurde zum erstenmal die Orgel gespielt", 32) ein Werk des Matthäus Mauracher aus St. Florian (Preis: 5000 K). Zu Mittag war der Bischof Gast des Kirchenbauvereins. Der Einladung an den Abt von Seitenstetten ist die Fest-Ordnung zu entnehmen:

25. Mai 1/2 4 Uhr Empfang des hochwürdigsten Herrn Bischof
4 Uhr Religionsprüfung
Abends: Fackelzug und Höhenfeuer

26. Mai 7 Uhr Kirchweihe, hl. Messe
Festtafel 33)

In den folgenden 15 Jahren bis zur Pfarrgründung wurden "Messeleser" an der Kirche angestellt. Der Pfarrhof wurde 1915 notdürftig fertiggestellt.

Nach der Weihe der Kirche waren noch die finanziellen Probleme. Um 1919/20 erhoffte sich der Kirchenbauverein Ertl zusätzliche Einnahmen durch das "Notgeld".

Notgeld des KirchenbauvereinesNotgeld wurde gedruckt, weil zu wenige Münzen im Umlauf waren. Ertl schloß sich diesem Boom an und druckte 10-, 20- und 50-Heller-Scheine mit einem Bild von Ertl auf der Vorderseite.

Folgende Messeleser waren in Ertl:

  1. 1915-1917 Franz Jetzbacher (Pfarrer in Ruhe, aus Salzburg);
  2. 1917-1924 Johann Schweitzer (Pfarrer in Ruhe, geb. 1874, Pfr. Jahrings. Er starb als Seelsorger im Herz-Jesu-Stift in Rati-bor am 8. 4. 1947).
  3. 1924-1928 P. Pius Grimm OSB (vom Stift Lambrecht, geb. 1873 in Amstetten).
  4. 1928-1929 Anton Melmelauer (Neffe und Patenkind des Bischof Dr. Michael Memelauer; geb. 1884 in Sindelburg, Ertl war der 12. von über 30 Posten, gestorben am 9. 12. 1952).

Die Errichtung der Pfarre

"Ertl wird nur dann eine Pfarre ..., wenn die Bevölkerung es einig und mit der nötigen Selbständigkeit verlangt und durchführt." 34) Mit diesen Worten umschreibt der Verein Caritas in Ertl Mitte 1912 das Ergebnis einer Plakataktion zur Notwendigkeit eines Kirchenbaues in Ertl. Der Bau der Kirche ging zügig voran, und bald sollte sie fertig sein. Bereits 1911 (20. Juli) trat der Kirchenbauverein Ertl an den Abt von Seitenstetten mit der Frage, "ob eine Verlegung der Pfarre St. Michael nach Ertl möglich wäre" .35) Das Stiftskapitel gibt seine Zustimmung zu Verhandlungen. Es werden Bedingungen ausgearbeitet, die für eine Übernahme von Seiten des Stiftes eingehalten werden müßten:

  1. Vollständiger Ausbau der Kirche mit eigenem Friedhof
  2. Pfarrhof mit entsprechender Wirtschaft
  3. Das Gebiet um die Kirche müßte nach St. Michael umgepfarrt werden. Den nördlichen Teil von St. Michael (mit der Kirche und Schule) könnte Seitenstetten übernehmen. 36)

Daß eine Verlegung oder Neugründung nur bestens sei, davon waren alle überzeugt. Und auch von Seiten der Pfarrkinder ist mit geringen Schwierigkeiten zu rechnen. 37) Dennoch ziehen sich die Verhandlungen in die Länge.

Seit 1922 ist auch die neugegründete Gemeinde Ertl bestrebt, eine eigene Pfarre zu gründen. Seit der Gemeindegründung hat sich auch in der Pfarrfrage einiges geändert. Es wäre sinnvoll, die Pfarr- und Gemeindegrenzen gleichzusetzen.

1924 schreibt Abt Theodor Springer an das bischöfliche Ordinariat: "Das Stiftskapitel ist bereit, die Gründung einer neuen Pfarre Ertl dadurch zu fördern, daß es einen entsprechenden Teil der Pfarre St. Michael a. B. an die neu zu gründende Pfarre Ertl abtreten will. Dagegen erklärt sich das Stiftskapitel außerstande, für die Gründung der geplanten Pfarre die bisherige Pfarre St. Michael ganz unterdrücken zu lassen und auf jedenfall außerstande, die neue Pfarre Ertl zu übernehmen." 38)

Das waren klare Worte, die bald in die Tat umgesetzt wurden. St. Michael bleibt eine eigene Pfarre, etwas kleiner als vorher. Aus Teilen von St. Michael, St. Peter, St. Georgen und Konradsheim wird Ertl eine eigene neue Pfarre, die der Diözese St. Pölten untersteht.

Am 1. 4. 1924 hat sich die Gemeinde Ertl verpflichtet, für einen Priester jährlich zu liefern: 350 kg Weizen, 350 kg Korn, 81 kg Butter, 550 Eier und 6 Millionen Kronen. 40) Es war dies in schwierigen Zeiten der Beitrag der Gemeinde Ertl für den Messeleser. Am 1.6.1924 ergeht laut Gemeinderatsbeschluß die Bitte an das bischöfliche Ordinariat um Errichtung einer eigenen Pfarrgemeinde mit Namen Ertl. 41)

Am 26. Oktober 1924 wurde der neue Friedhof in Ertl eingeweiht. 39) Siehe S. 118. Am 29. November 1928 beschließt das bischöfliche Konsistorium die Pfarrgründung von Ertl und St. Pölten-St. Josef. Dadurch wurden auch die Kooperaturen von Grainbrunn und Königstetten aufgehoben. 42)

Im Frühjahr 1929 schreibt der Messeleser Anton Memelauer einen Brief an seinen Göd, den Bischof: "Jetzt hat man geglaubt, zu Ostern wird die Pfarrerhebung sein; dieweil kommt heute wieder ein langmächtiger Wisch von der Landesregierung. Die Gemeinde hat nichts zu tun, als immer wieder alle Beschlüße, die sie schon längst gefasst hat, wieder zu beschließen... Es ist mir unbegreiflich ... Herzliche Grüsse Toni. 1. 4. 1929" 43)

Schließlich kam es doch zur Errichtung der Pfarre Ertl. Die Pfarrerrichtungsurkunde wurde am 31. August 1929 vom bischöflichen Ordinariat genehmigt, am 1. September 1929 ausgestellt und allen Verantwortlichen der betroffenen Pfarren und Gemeinden zur Unterschrift vorgelegt. Alle gaben ihre Zustimmung durch ihre Unterschrift.

Mit 1. Jänner 1930 tritt die Urkunde in Kraft, und Ertl ist nun eine selbständige Pfarre "Zur Heiligen Familie". 45) Am 16. Februar war die Pfarr-Gründungs-Feier. Ein über 50 Jahre alter Traum ist trotz Schwierigkeiten Wirklichkeit geworden.

Anmerkungen:

1) Diözesanarchiv (DA) St. Pölten, Kanzleinotaten 1876, Zl. 5186 vom 28. 7. 1876
2) DA St. Pölten, Pfarrakte l St. Peter/Au, Schule, Zl. 5186 vom 30. 7. 1876
3) DA St. Pölten, Kanzleinotaten 1880 Zl. 1675 vom 22. 2. 1880
4) DA St. Pölten, Kanzleinotaten 1880 Zl. 1675 vom 9. 3. 1880
5) DA St. Pölten, Kanzleinotaten 1880 Zl. 1675 vom 20. 7. 1880
6) DA St. Pölten, Kanzleinotaten 1880 Zl. 6363 vom 9. 11. 1880
7) DA St. Pölten, Kanzleinotaten 1881 Zl. 423 vom 18. 1. 1881
8) Erstmals taucht diese Meinung auf in: P. Martin Riesenhuber, Die kirchlichen Kunstdenkmäler des Bistums St. Pölten 1923. S. 274; und wurde in allen weiteren Publikationen bis zuletzt übernommen.
9) Chronik der Pfarre St. Peter/Au, - S. 170
10) ebd. S. 171
11) DA St. Pölten, Kanzleinotaten, 1882, Zl. 4962,5102
12) Memorabilienbuch der Pfarre St. Michael 1875-1945,S.14
13) DA St. Pölten, Kanzleinotaten, 1884 Zl. 5462, 5712
14) vgl. Diözesanarchiv St. Pölten, Pfarrakte l St. Peter/Au, Kapellen 1889, ZI. 1331 (liegt heute bereits in der Pfarre St. Peter/Au)
15) Memorabilienbuch der Pfarre Ertl, S. l
16) DA St. Pölten, Kanzleinotaten 1876, Zl. 5186
17) Pfarrchronik von St. Peter in der Au, Pfarrarchiv, S. 182
18) ebd., S. 183
19) ebd., S. 183
20) ebd., S. 184
21) Verzeichnis des Kaplan Gotsbacher von 1902 im DA St. Pölten
22) ebd., S. 190
23) ebd., S. 191
24) ebd., S. 197
25) Über 100 Seiten (Kopien aus dem NÖ Landesarchiv) liegen darüber im Gemeindeamt Ertl auf.
26) Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Amstetten an die k. k. n. oe. Statthalterei in Wien vom 22. 3. 1907; NÖ Landesarchiv, Wien
27) Pfarrchronik von St. Peter, S. 198 b
28) ebd., S. 201
29) Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Amstetten an die k. k. n. oe. Statthalterei in Wien vom 23. 11. 1910; NÖ Landesarchiv, Wien
30) Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Amstetten an die k. k. n. oe. Statthalterei in Wien vom 6. 12. 1913; NÖ Landesarchiv, Wien
31) Pfarrchronik St. Peter, S. 206
32) ebd., S. 206
33) Stiftsarchiv Seitenstetten, Akte Ertl vom 11.5. 1914
34) ebd., Plakat des "Verein Caritas" zum Thema: Ist der Kirchenbau in Ertl notwendig?
35) ebd., vom 20. 7.1911 .
36) ebd., vom 6. 9. 1911 und vom 23. 9. 1911
37) ebd., Brief vom 17.12.1916 des Kirchenbauvereins an den Abt von Seitenstetten
38) ebd., Brief vom l1.Juli 1924
39) Pfarrchronik St. Peter, S. 221
40) Pfarrarchiv Ertl
41) DA St. Pölten, Karton Ertl
42) ebd.
43) ebd.
44) St. Pöltner Diözesanblatt 1930/1, S. 1f
45) Um 1900 wurde sogar erwägt, die Kirche "Kaiserin-Elisabeth-Votiv-Kirche" zu benennen, um die Geld-"Fechterei" im großen Maßstabe auch bei hochgestellten Persönlichkeiten zu betreiben. Die vielen kleinen Anstrengungen haben sich aber dennoch bezahlt gemacht. Die Kirche wurde kein Kunstbau, sondern Zentrum einer lebendigen Pfarrgemeinde.