Dr. Stefan Matzenberger 1919-1986
Ein Blinder weist der Welt den Weg

Er war der 6. Armee, die nach Stalingrad marschierte, zugeteilt. Als Sanitäter und Regimentsmelder wurde er eingesetzt und kam oft in größte Gefahren, als auf ihn direkt geschossen wurde. Im Kriegswinter 1941/42 war er bei -30 bis -43 Grad an der Front. Am 26. März 1942 war er, 23 Jahre alt, wieder einmal als Regimentsmelder unterwegs, als 2 Meter neben ihm eine 12,6-cm-Granate einschlug. Er selbst beschreibt es folgendermaßen: "Ich wurde von annähernd 40 Granatsplittern schwer getroffen, blutete am Kopf, auf der Brust, und bemerkte, daß das Blut auch in den Stiefel rann. Glücklicherweise befand sich nicht sehr weit von mir entfernt ein Sanitäter, der mich verband. Durch diese Granatsplitterverletzungen verlor ich das Augenlicht und war sofort gänzlich gehunfähig. 1) Ein Splitter durchschlug seinen Mantel, einen Rubel, ein 5-Pfennig-Stück, beschädigte noch die Marienmedaille von Tschenstochau, die er von einem polnischen Pfarrer wenige Monate vorher bekommen hatte, und blieb dann liegen. "Daß ich trotz dieser schweren Verwundungen am Leben blieb, ist geradezu ein Wunder." 2)

Dr. Stefan MatzenbergerStefan Matzenberger wurde am 5. Mai 1919 im Hause Schindelmacher geboren. Das Gymnasium besuchte er in Seitenstetten und Waidhofen/Ybbs, wo er auch die Matura mit Auszeichnung ablegte. Im April 1940 wurde er zur Deutschen Wehrmacht eingezogen und im Sommer 1941 nach Polen abkommandiert und überlebte in Rußland den Angriff 30 km von Charkow entfernt, wohin er ins Kriegslazarett gebracht wurde. Von da kam er (nun ein Blinder) nach Kiew und später in das Berliner Gertrauden-Krankenhaus, wo er beschloß, Jus zu studieren. Er lernte die Blindenschrift, ihre Kurzschrift und Schreibmaschinschreiben. Wieder genesen, begab er sich auf die Heimreise. Seine Schwester Rosina (*1922) hat sich um ihren jungen, blinden Bruder angenommen. Der Krieg aber war noch nicht zu Ende. Am Sonntag, 4.2.1945, war Rosina noch in der hl. Messe in Wien, und am nächsten Tag wollte sie mit ihrem Bruder nach Ertl fahren.

Matzenberger schreibt: "Am 5. 2. 1945, also drei Jahre nach meiner Verwundung, erlebte ich einen furchtbaren Tieffliegerangriff in der Nähe von Neumarkt an der Ybbs, bei dem meine 23jährige Schwester neben mir erschossen wurde und auch sonst ungefähr 70 Menschen in meiner Nähe durch amerikanische Tiefflieger getötet wurden." 3) Solche unmenschliche Kriegserlebnisse beeinflußten seinen weiteren Lebensweg. In Ertl lernte er auch seine spätere Frau kennen. In der Pfarrchronik ist 1945 zu lesen: "Fräulein Lisi Kadlec ließ sich für das heurige Schuljahr beurlauben, um den kriegsblinden Studenten aus unserer Pfarre, Stefan Matzenberger, beim Studium behilflich zu sein und ihm in Wien den Haushalt zu führen." 4) Als Blinder studierte er in Marburg an der Lahn Rechtswissenschaften, später auch in Wien, und er wurde 1947 zum Dr. iur. promoviert. All seine weiteren Studien stellte er in den Dienst der Friedensforschung und setzte sein Leben zur Förderung des Friedens ein.

In den folgenden Jahren hielt Dr. Matzenberger unzählige Vorträge (über 250), beteiligte sich an öffentlichen Friedensdiskussionen (etwa 100) und schrieb in zirka 100 verschiedenen Zeitschriften, Zeitungen und Mitteilungsblättern ungefähr 500 Friedensartikel und Leserbriefe, alle im Dienst des Friedens. Auch hohe Persönlichkeiten aus Politik und Kirche versuchte er mit seiner Friedenslehre zu beeinflussen. Er schrieb Briefe, knapp 20.000(1), oft einige Seiten lang, mit detaillierten Vorschlägen zu Abrüstung, Kriegsverhinderung und Friedensaktivitäten. Und er meinte dazu: "Ich trug ein wenig bei, daß 1952 die österreichische Pax-Christi-Bewegung ins Leben gerufen wurde, daß 1955 in das österreichische Wehrgesetz Waffendienstverweigerungsbestimmungen aufgenommen wurden, daß im Februar 1968 in Österreich die Todesstrafe für Soldaten abgeschafft wurde und das Militärstrafgesetz humanisiert wurde.

Ich regte die Gründung eines Friedensforschungsinstitutes an der Universität Wien an und schlug ... die Einführung eines christlichen Weltfriedensfesttages vor. Diese Anregung wurde realisiert. (1967 wurde die päpstliche Studienkommission Justitia et pax' gegründet, und Papst Paul VI. proklamierte 1967 den Weltfriedenstag für den 1. Jänner eines jeden Jahres." 5)

Antwort auf seine Briefe bekam Dr. Matzenberger etwa vom Staatssekretariat des Vatikan, von Kekkonen (Staatspräsident von Finnland), Sadat (Staatspräsident von Ägypten) und Senator Robert Kennedy (USA) und vielen anderen. Für seine Friedenstätigkeit hat Dr. Matzenberger den Professorentitel der Universität life church in Kalifornien erhalten. Und viermal wurde für ihn in Oslo um Zuerkennung des Friedensnobelpreises angesucht. 6) Leider ohne entsprechenden Erfolg. Es wäre auch eine Auszeichnung für Ertl gewesen.

Dr. Matzenberger starb am 5. März 1986 im 67. Lebensjahr. Sein Enkel schrieb in einem Schüleraufsatz: "Mein Onkel trug sein schweres Leid mit großer Geduld ... Mit Gott, durch Gottes Kraft und Hilfe konnte er sein Leben meistern. Er war ein wunderbarer Mensch - ein Christ. Vor einigen Jahren starb mein Onkel Stefan in der Hoffnung auf ein ewiges Leben, auf ein Auferstehen und ein Wiedersehen mit den Seinen bei Gott."

Dr. Stefan Matzenberger, ein Ertler, den wir zu Hause kaum zu sehen bekommen haben, der aber als Blinder vielen die Augen für eine menschlichere und friedlichere Welt geöffnet hat. Er gilt als ein Wegbereiter der Friedensbewegung. Ihm möge an dieser Stelle ein Denkmal gesetzt sein, das alle zu Frieden und Versöhnung unter den Völkern ruft. 7)

Zwei Bücher:

"Von der Friedensethik zur Friedenspolitik" nennt er sein Buch, in dem er seine Vorstellungen grundlegte, und das im In- und Ausland begeisterte Leser fand: Dr. Stefan Matzenberger, Von der Friedensethik zur Friedenspolitik. Hundert Fragen an den Pazifismus, Eurasia-Verlag, Wien, 1963, 223 Seiten.

1979 erschien sein zweites Buch, das eine Sammlung wichtiger Vorträge, Briefe und Artikel umfaßt: Dr. Stefan Matzenberger, Pazifismus im Atomzeitalter. Kriegsverhinderung durch Friedensaktivität, Sensen-Verlag, Wien, 1979,212 Seiten.

KS

Anmerkungen:

1) Aus einem Brief an Prof. Johannes Pettauer, abgedruckt in: Kärntner Volksblatt Nr. 20 vom 22. 5.1971, S. 14, unter dem Titel: Der kriegsblinde Dr. Matzenberger schreibt über seine Friedensarbeit.

2) ebd.

3) ebd.

4) Memorabilienbuch der Pfarre Ertl, S. 34

5) Dr. Stefan Matzenberger, Pazifismus im Atomzeitalter, 1979, S. 9-10

6) NÖ Nachrichten, Jg. 1966, Nr. 14, vom 7. 4. 1983, S. 1 und 3: Ertler Friedenstheoretiker - reif für den Nobelpreis!

7) Weitere Artikel: ***Kathpress vom 10. 3.1986, Seite 5: Österreichischer Pazifist Dr. Stefan Matzenberger gestorben. ***Die Furche, Nr. 3/17. 1. 1986, S. 5: Zur Diskussion: Wehrsprecher an die Front, von Stefan Matzenberger; ***NÖN Niederösterr. Nachrichten vom 4.10. 1970, S. 18: Gebürtiger Ertler als Friedensapostel. ***Dr. Matzenberger ist auch aufgenommen in die Prominentenenzyklopädie "Who is Who in Österreich, ca. 6000 Biographien von Prominenten in Österreich, Zürich 1979