Karl Schlögelhofer

Die Gründung der Gemeinde Ertl

Acht Tage vor der Trennung Niederösterreichs von Wien (29. 12.1921) beschloß der Landtag des Landes Niederösterreich mit Gesetz vom 21. 12. 1921 die Bildung einer neuen Ortsgemeinde Ertl. Es war das die Zeit nach dem 1. Weltkrieg, die in Niederösterreich gekennzeichnet war durch die Bildung vieler kleiner Gemeinden, und der Beschluß des Landtages war geradezu Routinesache. Veröffentlicht wurde dieses Gesetz im Landesgesetzblatt (LGB1. 19227 45) für das Land NÖ vom 8. März 1922.

Wie kam es dazu?

Unter Anstrengungen wurde 1914 die Kirche vollendet, und nun stand sie gleichsam als Mittelpunkt im Urltal, wohin von allen Berghängen die Menschen ins neuentstehende Dorf kamen. In den letzten Jahrzehnten waren hier zwei Wirtshäuser entstanden. Und auf dem Weg nach St. Peter kam man an den Gasthäusern Tiefenbach und Bruckbach vorbei. Überall wurde von Trennung und Zusammenlegung gesprochen. Bei einem Glas Most verstärkte sich der Wille nach Selbständigkeit, und alsbald wurden die Wege zur Gemeindegründung geebnet.

Im Frühjahr 1919, als der Schnee sich zurückzog, machten sich Johann Schweitzer, Messeleser in Ertl, und Hubert Köfler, Oberlehrer in Ertl, daran, Unterschriften von allen Leuten des Schulsprengels zu sammeln. Mit ihrer Unterschrift bekunden die Besitzer aus den Gemeinden Dorf St. Peter und St. Michael ihr Interesse an der Gründung der neuen Gemeinde Ertl (186 Unterschriften für 1099 Personen).1)

Am 17. Mai 1919 ergeht der Antrag an die Gemeinde Dorf St. Peter und St. Michael, sie möchten doch die Ausscheidung aus dem jeweiligen Ortsverband befürworten und genehmigen. Unterschrieben ist Johann Schweitzer und Hubert Köfler, und auch die Unterschriftenlisten sind beigelegt. Dazu ist noch die Bitte angeführt, daß diese Angelegenheit im allgemeinen Einverständnis zur Erledigung kommen möge. Vielleicht könnte am 22. Juni 1919 bei den allgemeinen Neuwahlen der Gemeinderäte auch schon eine Gemeinde Ertl existieren. Es dauerte länger.

Zwei Tage später (19.5.1919) ergeht schon die Einladung an die Gemeindevertreter von St. Michael. Am 24. Mai 1919 ist die Sitzung nachmittags um 2 Uhr in Herrn Karl Leitners Gasthaus. Es geht um die Teilung und Abgrenzung der Gemeinde St. Michael von Ertl. Dabei wird folgende Grenze festgelegt und beschlossen: Die Häuser Brandstatt 140 2), Eislehen 95, Federhoferhäusel 96, Oberfederhof 97, Unterfederhof 98, Inneres Aigen 36, Starngrub 37, Hinterberg 38, Gleicherhäusel 39 und Gleicher 40 gehören noch zu St. Michael. (Bürgermeister Josef Kronberger und 12 Gemeinderäte unterschreiben, darunter auch Karl Leitner, dessen Gasthaus nun zu Ertl gehören würde.)

Am selben Nachmittag wird auch ein Schreiben an den nö. Landesrat in Wien gerichtet, worin die Gründe für die Trennung angeführt sind. Ertl selbst hat eine dreiklassige Volksschule, seit 1914 eine neuerbaute, geräumige Kirche samt Pfarrhof und seit 1915 regelmäßig Gottesdienst. Außerdem besitzt Ertl eine eigene Feuerwehr mit Zeughaus, eine Postablage, ein landwirtschaftliches Kasino (in Tiefenbach) und eine private Brückenwaage. Der Ortsteil Ertl zählt 107 Häuser mit 675 Einwohnern sowie 1194 ha, 80 a und 30 m2 Besitz.

Die Gemeinderäte von St. Michael treffen sich am 9. Juni 1919 im Gasthaus Brückbach, um über die Vermögensaufstellung anläßlich der geplanten Neuerrichtung der Gemeinde Ertl zu debattieren. So muß die neue Gemeinde sämtliche Kosten, die durch die Abtrennung entstehen, übernehmen. Im Protokoll dieser Sitzung wird auch gefordert, daß das Haus Bruckbach, Nr. 141, unbedingt bei der Gemeinde St. Michael verbleiben muß, weil es auch im Namen "St. Michael am Bruckbach" erwähnt ist. Und so blieb Karl Leitners Gasthaus, Bruckbach, bei St. Michael.

An die Gemeinderäte von Dorf St. Peter in der Au ergeht diese Einladung am 6. Juli. Die Sitzung findet am 13. Juli 1919 um halb elf Uhr beim Schmidböck statt. Auch hier stimmt der Gemeinderat zu, jedoch unter einigen Bedingungen:

  1. Der Rexsitzgrabenbach soll die Grenze sein, und die Gründe des Ferdinand Schörghuber (Bürgermeister, Gehinghof) müssen bei Dorf St. Peter bleiben.
  2. Die neue Gemeinde müßte 25.000 K Kriegsanleihe übernehmen.
  3. Ein Viertel der Gemeinde-Armen müsse übernommen werden.
  4. Das Gemeindevermögen soll nach der Steuerleistung aufgeteilt werden.
  5. Sämtliche Kosten zur Errichtung der neuen Gemeinde müßte Ertl übernehmen.

Das Schreiben an den nö. Landesrat in Wien wird erst am 2. August abgeschickt. Auch hierin wird die Lebensfähigkeit der neuen Gemeinde bestätigt; dazu sind auch die sehr verschiedenen Interessen zwischen innerer und äußerer Gemeinde mit ein Grund zur Trennung. Der Ortsteil Ertl zählt 47 Häuser mit 242 Einwohnern sowie 350 ha Besitz. Auch der Pfarrer von St. Peter, Weikersdorfer, kennt die Lage in seiner Pfarre sehr gut und kann einer Trennung nur zustimmen.

Die Gemeinderäte von der Landgemeinde Waidhofen an der Ybbs beschlossen am

16. August 1919, daß die Häuser Großau, Burgerlehen, Königsberg (Groißberg l, 2, 3) und Schreigrabenhäusl (II. Pöchlauerrotte 15) der neuen Ortsgemeinde Ertl angegliedert werden dürfen, jedoch mit dem Vorbehalt der Schürfrechte auf diesen Grundstücken. Das Haus Blumau und Blumauerhäusel wollen bei Konradsheim bleiben, obwohl die Topographie dagegen spricht.

In St. Michael, St. Peter/Au und Waidhofen/Ybbs sind die Sitzungen positiv abgeschlossen worden. So liegen nun alle erforderlichen Akte vor und werden über die Bezirkshauptmannschaft nach Wien geschickt. Einige Details mußten noch ergänzt werden.

Am 25. Oktober 1921, nachdem schließlich alle notwendigen Unterlagen ordnungsgemäß vorgebracht worden sind, geht das Ansuchen in seine letzte Phase. Im hohen Landtag wird der Antrag zur Neugründung der Gemeinde Ertl gestellt und der Gesetzesentwurf vorgelegt. In diesem Antrag ist nochmals vermerkt, daß die Gemeinderatsbeschlüsse ordnungsgemäß gefaßt wurden und Einwände nicht vorliegen! (Ein halbes Jahr später war das allerdings anders.) Der Text geht nun in die Schreibstube und ist am 9.11.1921 abgefertigt. Am 21. Dezember 1921 wird das Gesetz beschlossen und am 8. März 1922 im LGB1. 45 veröffentlicht (siehe Landesgesetzblatt-Abbildung nächste Seite).

Die Reaktion samt den Folgen

Gleich nach Bekanntwerden des Gesetzes muß es heftige Proteste gegeben haben, und es kam zu Grenzstreitigkeiten. Ich kann mir das lebhaft vorstellen, wenn beim Leitner die aufgebrachten Bauern bei einer Halbe Most ihre Zugehörigkeit lautstark verteidigten. Im Gesetz waren nämlich einige Mängel zu verzeichnen. So kam es noch im Laufe des Jahres zu einigen Reibereien. Gegen Ende des Jahres war das meiste bereinigt.

Schon am 18. April 1922 wurde im Gasthaus Leitner eine Verhandlungsschrift verfaßt, deren Inhalt von den am 14. Mai 1922 gewählten neuen Gemeindevertretungen durchzusetzen ist. Folgendes wurde ausgehandelt: Abweichend von dem Gesetz (21. 12. 1921 LGBl. 45) wird die Grenze gegen die Gemeinde Dorf St. Peter doch im Rexsitzgrabenbach verlaufen. Und auch die Grundstücke von Großrexsitz, deren Besitzer der Bürgermeister von Dorf St. Peter, Ferdinand Schörghuber vom Gehinghof, ist, bleiben bei der alten Gemeinde. Durch diese Grenzziehung fallen an die Gemeinde Dorf St. Peter/Au folgende Häuser zurück: Kreiselschachen 38, Vorderschachen 39, Hütelhof 40, Schachermühle 41, Schachermühlehäusel 42, Brandstetterhäusel 43, Kleinrexnitz 44, Hütelhofhäusel 45, Hornißl 46, Steinriegl 47, Mitterkalkgrubhäusel 48, Steinriegelhäusel 49; Raucheck 96, Gerstleiten 97, Unterkalkgrub 98, Mitterkalkgrub 99 und Oberkalkgrub 100; (Bei dieser Auflistung wurden die Häuser Rienergut 104, Eggergütl 105, Windhag 106 und Fesenhub 107 vergessen, die aber dennoch bei Dorf St. Peter bleiben, da sie ohnehin nicht mehr an Ertl angrenzen.) Diese Besitzer wollten unbedingt bei St. Peter bleiben.

Bezüglich der Grenze zu St. Michael und Waidhofen/Ybbs hat es bei der im Gesetz (21.12.1921 LGB1.45) festgelegten Grenze zu bleiben, da die in § l Punkt 2 genannten Besitzer unbedingt zu Ertl gehören wollen. Die Vertreter von St. Michael aber befürchten, daß durch diese außerordentliche Verkleinerung von St. Michael die Lebensfähigkeit dieser Gemeinde beeinträchtigt wird. Soweit diese Verhandlungsschrift. Bei diesem Lokalaugenschein war auch der Landesregierungsrat Willfort persönlich anwesend sowie als Sachverständiger Bürgermeister Josef Tempelmeier. Am 19. April 1922 wird Herr Josef Schönegger (Unter-Schönegg) von Willfort beauftragt, die Gemeinderatswahl in der neuen Gemeinde Ertl zu leiten. Diese ist am 14. Mai.


3)

Am 1. Juli findet dann die erste konstituierende Sitzung des Gemeinderates der neuen Gemeinde Ertl statt, womit offiziell die Gemeinde Ertl zu existieren begonnen hat. Es war ein feierlicher Augenblick, obwohl die Grenzstreitigkeiten immer noch nicht beigelegt waren. Gleich am nächsten Tag gingen die Beratungen weiter.

In seiner Sitzung vom 2. Juli 1922 hat der Gemeinderat von Dorf St. Peter die Grenzänderung vom 18. April 1922 angenommen und gutgeheißen.

Am 30. Juli 1922 war eine der ersten Gemeinderatssitzungen im neuen Ertl. Hier ging es um folgendes Problem: Im Gesetz vom 21.12.1921LGB1.45 wurden die Häuser Unterlirgl 51, Farfelöd 59, Reiterhof 190 sowie die Hausmühlen 192 (Meiermühle) und 203 (Fürstenödmühle) nicht verzeichnet, würden also noch nach St. Michael gehören. (Bereits am 2. Mai schreibt Franz Großbichler, Unterlirgl, aus diesem Anlaß nach Amstetten an die Bezirkshauptmannschaft, weil der Bürgermeister von St. Michael sich weigerte, daß Großbichler in die Wählerliste in Ertl eingetragen werde.) St. Michael verlangte nun für diese fünf Nummern Ersatz an der Grenze. Diesem Tausch kann die Gemeinde Ertl nicht zustimmen, da wiederum wie schon bei St. Peter die Schulgemeinde auseinandergerissen würde.

In einem Schreiben an die Landesregierung vom 3. August 1922 beschwert sich der Gemeinderat St. Michael über einen Ertler Gemeinderat, der zu den Grenzhäusern ging und diesen Leuten "mit Gronheiten und Teror" entgegen kommt mit etwa folgenden Worten: Wenn ihr zu St. Michael geht und nicht zu uns wollt, dann dürft ihr auch eure Kinder nicht mehr nach Ertl in die Schule schicken.

Am 20. Oktober 1922 wird die Verhandlungsschrift zur Bereinigung der Grenzdifferenzen zu St. Michael aufgenommen. Getroffen hat man sich in der Gemeindekanzlei Markt St. Peter, wobei auch Willfort aus Amstetten anwesend war. Abweichend vom Gesetz (21.12.1921LGB1.45) wird die Grenze folgendermaßen festgesetzt: Die Häuser Eckerhäusel 41, Ebnerhäusel 43, Starngrubhäusel 91, Oberbanholzhäusel 194, und die dazugehörigen Gründe sowie die Gründe der Häuser Hinterberg 38 und Oberlirgl 49 und das Haus 198 (Dietmannsberghäusel) samt den Grundstücken bis zum Fahrweg kommen an St. Michael zurück. Das Haus Dietmannsberg gehört bereits nach Ertl. Und auch die Häuser 51, 58, 59, 190 sowie die Hausmühlen 192 und 203 werden mit Ertl vereinigt.

Am 2. November 1922 unterschreiben die neue Grenzregelung zu Dorf St. Peter/Au und zu St. Michael der
Bürgermeister Josef Schlager, Ertl 3,
und die Gemeinderäte Ferdinand Schenkermeyer, Anthof, Ertl 27
Johann Schenkermeyer, Hörmühle, Ertl 24
Franz Krendl, Kühleiten, Ertl 76
Franz Stockinger, List, Ertl 53
Josef Mitteramskogler, Molterlehen, Ertl 157
Ferdinand Huber, Pirreit, Ertl 116
Dominikus Sonnleitner, Nesselgassen, Ertl 48
Roman Mayerhofer, Url, Ertl 147
Johann Hinterholzer, Kernreit, Ertl 139
Josef Schönegger, Unterschönegg, Ertl 73
Peter Hochpöchler, Krenngut, Ertl 100
Carl Lohnecker, Gasthaus, Ertl 5
Roman Kerschbaumer-Stöckler, Feindmühle, Ertl 12.

Einige Wochen vor dieser Unterschrift, durch die so viele Häuser verloren gingen, gab es doch noch eine Hoffnung auf Zuwachs. Der Blick wandte sich nach Süden. Die Katastralgemeinde Neustift war ein Teil von Kürnberg, aber seit den letzten Jahren lag Ertl mit der Kirche und nun einer neuen Gemeinde viel näher.

So haben die vier Häuser Blanklehen, Gansberg, Schnabellehen und Schroflehen bei der Gemeinde Kürnberg um die Abtrennung angesucht. In der Gemeinderatssitzung vom 22. Oktober 1922 wird diesem Antrag zugestimmt mit der Auflage, daß Ertl oder die Katastralgemeinde Neustift alle Kosten zu tragen habe. So hörte die Katastralgemeinde Neustift zu bestehen auf und wurde mit Ertl vereinigt. Bei der Volkszählung 1922 wurden diese vier Häuser bereits zur Gemeinde Ertl gezählt.

Anfangs 1923 gab es noch wegen eines Hauses Dorf St. Peter/Au Nr. 194 und wegen der Gründe des Hauses St. Michael a. Br. Nr. 40 ein Problem, das jedoch auf einem Mißverständnis beruhte und bald zur Zufriedenheit aller Beteiligten gelöst war.

Die neue Gemeinde

So war schließlich die Gemeinde Ertl vollständig zusammengefügt, und sogleich konnten die ersten neuen Pläne im Gemeinderat besprochen und in Angriff genommen werden: Die Grenzregelung, die Anlegung eines Friedhofes und die Verhandlungen zur Errichtung einer eigenen Pfarre.

Die ersten Gemeinderatssitzungen waren am 30. Juli, 16. Oktober und 2. November 1922 und am 8. April 1923. Die Nummer der hinausgegangenen Schreiben war Mitte September "Zahl 40", im Dezember 1922 bereits "Zahl 80" und im April 1923 "Zahl 160". Bisher waren aber nur einige wenige dieser Schriftstücke auffindbar. Am 9. August 1925 ernennt der Gemeinderat den hochw. Herrn Albert Weikersdorfer, Pfarrer von St. Peter/Au, zum Ehrenbürger der Gemeinde Ertl. Er war Mitglied des Kirchenbau-Vereins-Ausschusses, erster Mithelfer zur Gründung der Ortsgemeinde Ertl sowie beteiligt bei der Einleitung zur Errichtung einer Pfarrgemeinde.

Anmerkungen:

1) Die Unterlagen zu diesem Artikel, etwa 120 Seiten Kopien, wurden der Gemeinde Ertl von Herrn Dr. Eggendorfer aus dem NÖ Landesarchiv Wien zur Verfügung gestellt - besten Dank seitens der Gemeinde Ertl - und liegen im Gemeindeamt Ertl auf. Die Schriftstücke finden sich im NÖ Landesarchiv, Regierungsarchiv XXII-397-1919,1920,1921,1922,1923.

2) Die Hausnummern sind hier nach der alten Einteilung, also vor der Gemeindegründung, in Verwendung.

3) Amtsblatt der Bezirkshauptmannschaft Amstetten vom 7. Juli 1922, Jg. XLII, Nr. 27, S. 1.