Zur Geologie im Gemeindegebiet von Ertl

Die geologische Karte (Abb. 1) zeigt im Gemeindegebiet von Norden nach Süden folgende Gesteinseinheiten: Rhenodanubische Flyschzone (Penninikum), Grestener Klippenzone (Ultrahelvetikum) und eine Deckscholle aus Randcenoman mit Gesteinen der Frankenfelser Decke der Nördlichen Kalkalpen.

Die Gesteine liegen aber nicht von unten (dem Liegenden) nach oben (dem Hängenden) in altersmäßiger (einfacher stratigraphischer) Abfolge - unten die ältesten, oben die jüngsten -, sondern sie sind durch die Gebirgsbildung der Alpen in der Kreide und im Alttertiär in Falten gelegt, unterschoben, in Schuppen, Schollen und Klippen zerschert, aufgepreßt miteinander vermengt und auf engem Raum zusammengeschoben, in Decken übereinander gestapelt und schließlich in ihre heutige Position und Höhenlage gehoben worden, wo sie der Erosion (Abtragung) anheim fallen. Es handelt sich in allen Einheiten im wesentlichen um Meeresablagerungen des Erdmittelalters (Mesozoikum) und der Erdneuzeit (Känozoikum), die Sedimente der einzelnen Einheiten wurden jedoch ursprünglich in paläogeographisch verschiedenen, nicht in der heutigen Form nebeneinanderliegenden Ablagerungsräumen gebildet.

Abbildung Erdgeschichte

Abb. 2: Die Abbildung zeigt die Dauer der Erdgeschichte verglichen mit einem Kalenderjahr (Quelle: E. Thenius, 1983). Die Schichtfolge im Gemeindegebiet von Ertl beginnt (mit Ausnahme der paläozoischen exotischen Blöcke) im Mesozoikum, d.h. erst ab Mitte Dezember!

Ist die Gemeinde Ertl als politische Einheit mit ihren 70 Jahren eine junge unter den Gemeinden Österreichs, so sind die Gesteine ihres Lebens-Untergrundes mit bis zu etwa 220 Mio. Jahren ziemlich alt - damit aber im Vergleich zur Erdgeschichte insgesamt (4.600 Millionen Jahre) wiederum sehr jung (vgl. Abb. 2)!

Die ältesten Gesteine im Gebiet von Ertl sind die obertriadischen Hauptdolomite der Frankenfelser Deckscholle im Klippenraum. Sie und die bis in die Kreidezeit darauffolgenden, vorwiegend karbonatischen Sedimente der Nördlichen Kalkalpen, wurden in einem damals weit südlich gelegenen Meer abgelagert, das von den Geologen Tethys genannt wird. Dieses Mittelmeer zwischen Europa und Afrika bildete einen ausgedehnten, meist flachen Wasserbereich im Nordteil der Afrikanischen Erdkrustenplatte. Wechselnde Wassertiefen, terrestrische und vulkanische Einflüsse, Lagunen, Riffbildungen und Verlandungen sowie die Entwicklung von Tier- und Pflanzenwelt erklären im wesentlichen die Verschiedenartigkeit der Sedimente bis in die Unterkreide. Schichtlücken, Diskordanzen und grobe Sedimente wie Konglomerate und Brekzien, Schüttungen wie die Losensteiner und die Urnbachschichten in der Randcenoman-Zone sind bereits Zeugen der nahenden Gebirgsbildung ab der höchsten Unterkreide-Zeit.

Die Gesteine der Grestner Klippenzone wurden zwar teilweise zeitgleich den Sedimenten der Kalkalpen in der Jura-, Kreide- und Alttertiär-Zeit - jedoch in einem ganz anderen, nördlichen Raum abgelagert. Es war dies ein ab dem Lias absinkender Festlandbereich aus kristallinen granitischen Gesteinen, vergleichbar mit Teilen der Waldviertel-Gesteine und zu beobachten in der Granit-Klippe des nahen, in Oberösterreich gelegenen Leopold-von-Buch-Denkmals.

Die Sedimentation beginnt mit Ablagerungen (den Grestener Schichten) aus Flüssen und in Mooren (Kohlebildung! - alter Bergbau Großau) - und geht später in einen marinen Ablagerungsbereich mit zunehmender Wassertiefe über. Auf große Wassertiefe deuten die karbonatfreien kieseligen Lampeisberg-Schichten (z. B. nördlich Hinterberg) im oberen Dogger hin. In weiterer Folge dominieren subaquatische Trübeströme (sogenannte Turbidite), die von den steilen Nordflanken und vom Nordshelf des Meeresbeckens fließen wie Scheibbsbach-Schichten, Konradsheimer Schichten mit fossilführendem Brekzienkalk (aufgeschlossen z. B. im Steinbruch nordwestlich Hinterberg), um schließlich in eine ruhigere, feinkörnige, aber noch immer marine Kalk-Mergel-Sedimentation (Blassensteinschichten, auch fossilführend, aufgeschlossen im Steinbruch NW Kindslehen) und in die wieder etwas unruhigere, sogenannte Buntmergelserie der Klippenhülle (Oberkreide und Alttertiär) überzugehen.

Tab. 1: Schichtenfolge

Tab. 1: Schichtenfolge

Tab. 1: Schichtenfolge von Rhenodanubischer Flyschzone und Grestener Klippenzone, zusammengestellt von M. Esterlus (in M. Heinrich, 1990).

Tab. 2: Schichtenfolge

Tab. 2: Schichtenfolge

Tab. 2: Schichtenfolge der nördlichen Kalkalpen: Randcenoman-Zone und Frankenfelser Decke, zusammengestellt von M. Esterlus (in M. Heinrich, 1990).

Auffallend ist das häufige Auftreten von eingeglittenen, sog. exotischen Gerollen und Blöcken aus kristallinen Gesteinen, wie einer z. B. SW Schwaighof sogar für den Wegebau abgebaut wird. Zum Klippenraum, einer sogenannten tektonischen Melange, gehört daneben auch noch die Ybbsitzer Einheit mit Klippen aus tiefmarinen und ultrabasischen Gesteinen. Sie sind von den Grestener Klippen durch Flysch-Einheiten getrennt und liegen tektonisch in höherer Position, direkt unter den daraufgeschobenen kalkalpinen Serien. Die Ybbsitzer Einheit und die eigentliche Überschiebungsfront der Frankenfelser Decke liegen aber knapp südlich und südöstlich außerhalb des Gemeindegebietes von Ertl. Vom Ablagerungsraum her gehören die Ybbsitzer Klippengesteine zur penninischen Sedimentation des Flyschtroges. Die Geologie dieses äußerst kompliziert aufgebauten Klippenraumes, der sich am Nordrand der Kalkalpen bis Wien erstreckt, wurde erst in junger und jüngster Zeit eingehend erforscht (F. Aberer, 1951; G. Lauer, 1967, 1970; W. Schnabel, 1970 und 1979; A. Ruttner & W. Schnabel, 1988; K. Decker, 1987; R. W. Widder, 1988); insbesondere auf den Ergebnissen der Dissertation von K. Decker basiert - in stark vereinfachter Weise - die obige Beschreibung. Im Zuge des noch laufenden Rohstofforschungsprojektes "Naturraumpotential Amstetten-Waidhofen/Ybbs" (M. Heinrich, 1990, 1991) wurde gerade der Bereich der Grestener Klippenzone und des Randcenomans neu und detailliert geologisch kartiert (K. Decker, M. Esterlus und W. Pavlik) und hier erstmals publiziert. Der größte Teil des Gemeindegebietes wird von der Rhenodanubischen Flyschzone Le.S. aufgebaut. Die Sedimente dieser Zone haben Kreide- bis alttertiäres Alter und wurden in einem getrennten, tiefen Meerestrog - in einem richtigen Ozean - nördlich der Kalkalpen (südlich der Helvetischen Zone mit den Gesteinen der Grestener Klippen!) abgelagert, als diese schon in die beginnende Gebirgsbildung einbezogen wurden. Die Flyschgesteine zeigen eine intensive Wechsellagerung von Mergeln, Schieferzonen (mit eigentümlichen fossilen Lebensspuren) und Sandsteinbänken, mit für ihre Entstehung aus subaquatischen Trübeströmen charakteristischen Sedimentstrukturen.

Ein Erdrutsch beim Hinterholzer 1991Im allgemeinen ist die Flyschzone wegen ihrer Fossilarmut und ihren meist schlechten Aufschlußverhältnissen ein Stiefkind der geologischen Erforschungsgeschichte. So bedeutet auch die einheitliche Darstellung in der geologischen Karte weniger eine absolute Gleichförmigkeit der Gesteine als vielmehr eine jahrzehntelange Vernachlässigung der geologischen Kartierung gerade dieses Raumes.

Neue Arbeiten in angrenzenden Gebieten zeigen, daß sich mit modernem geologischem Wissen und Methoden sehr wohl Gliederungsmöglichkeiten finden lassen (vgl. W. Schnabel, 1970; A. Ruttner & W. Schnabel, 1988 und H. Egger, 1986,1987). Demnach entsprechen die Flyschgesteine des Gemeindegebietes den oberkretazischen bis alttertiären Altlengbacher Schichten. Übrigens: Der Name "Flysch" kommt von "fließen" und stammt aus der Schweiz.
Die jüngsten Ablagerungen und Ereignisse im Gemeindegebiet sind Hangschutt und Blockbildungen, Rutschungen, Muren, Felsstürze, bevorzugt in den tonigen und mergeligen Sedimenten des Klippenraumes und der Flyschzone, und die jungen Talsedimente des Kohlenbaches und der Url. Da sich das Gemeindegebiet außerhalb des eiszeitlich vergletscherten Bereiches befindet und nicht von großen Flüssen durchzogen wird, fehlen Moränen und Terrassenschotter.

Rohstoffe

Kohle. Trotz des hohen Heizwertes von über 6.000 kcal/kg und der gegenüber anderen Grestener Kohlenvorkommen relativ großen Ausdehnung, konnte sich auch in Großau kaum kontinuierlicher Bergbau entwickeln. Das Auftreten der kohleführenden Serie in isolierten Klippen, starke tektonische Störung, komplizierte Lagerungsverhältnisse, geringe und schwankende Kohlenmächtigkeit sowie Probleme mit der Wasserhaltung machten die Gewinnung der Kohle schwierig.

G. v. Sternbach (in M. V. Lipold, 1865) beschreibt eindringlich die mühsame und wechselvoll erfolgreiche Aufschluß- und Gewinnungstätigkeit in zahlreichen Stollen und Schichten im vorigen Jahrhundert. Damals aktiv und befahrbar waren der Mathias-, Olga-, Johannis-Stollen und der Hermann-Schacht. Abb. 3 zeigt eine alte Grubenkarte aus dem Lagerstättenarchiv der Geologischen Bundesanstalt. Von R. Sachsenhofer (1987) liegt eine moderne wissenschaftliche Bearbeitung bezüglich Fazies und Inkohlung der mesozoischen Kohlen Niederösterreichs vor, die auch die Glanzbraunkohle von Großau behandelt. Natursteine. Bei der Bestandsaufnahme der Abbaue von Natursteinen für das Naturraumpotentialproj ekt Amstetten- Waidhofen/Ybbs fielen mehrere kleine Steinbrüche im Brekzienkalk der Konradsheimer Schichten (Malm) in den Grestener Klippen auf. Das Gestein wurde früher als Baustein, als Wurfstein (Böschungssicherung), zum Kalkbrennen und besonders für den Straßen- und Wegebau benützt.

Ingenieurgeologie

Für die Bewohner wohl die wichtigste und bedrohlichste Wirkung des geologischen Untergrundes ist die ausgeprägte Neigung zu Hangbewegungen, vor allem der tonig-mergeligen Sedimente der Flyschzone und des Klippenraumes (Buntmergelserie, Grestener Schichten, Urnbachschichten); weniger gefährdet sind die kalkalpinen Gesteine der Frankenfelser Decke und Deckschollen.

Angelegt durch die Sedimentausbildung, befördert durch die "junge" tektonische und morphologische Entwicklung und häufig ausgelöst durch starke Niederschläge finden mehr oder weniger plötzliche Rutschungen statt.

Geotechnische Beobachtung der Hänge und Untersuchung von Ereignissen, Beachtung von Gefahrenzonenplänen und Schutzwaldgebieten und spezielle Baugrunduntersuchungen können helfen, möglichst günstige Siedlungsstandorte zu finden und Schäden an Menschen und Bauwerken hintanzuhalten, die Natur verändern können sie nicht!

Landwirtschaftliche und touristische Übernutzungen sowie Schadstoff-Immissionen können ein Übriges dazu beitragen, das natürliche Gleichgewicht zu stören.

Als erster Schritt zur Erfassung von Risikozonen im Gemeindegebiet wäre eine detaillierte geologische Kartierung, die im Bereich der Flyschzone von Ertl bisher fehlt, dringend notwendig. Auch Luft- und Satellitenbildauswertungen, landwirtschaftliche Bodenkartierung und Biotopkartierungen können Hinweise liefern.

Literatur:

Aberer, F.: Beiträge zur Stratigraphie und Tektonik der Randzonen der nördlichen Kalkalpen zwischen Neustift und Konradsheim. - Mitt. geol. Ges. Wien, 39-41, 1-73, 3 Taf., Wien 1951.

Decker, K.: Faziesanalyse der Oberjura- und Neo-komschichtfolgen der Grestener und Ybbsitzer Klippenzone im westlichen Niederösterreich. - Unveröff. Diss. Formal- u. Naturwiss. Fak. Univ. Wien, 248 S., 59 Abb., 20 Tab., 37 Taf., 10 Big. Wien 1987.

Decker, K., Esterlus, M. & Pavlik, W: Kompilierte geologische Arbeitskarte 1:25.000, Blatt 70, nö. Anteil. - 2 Blätter, Unveröff. Manuskriptkarte für das Bund-Bundesländer-Rohstoffprojekt N-C-009g/89-91, Wien (Geologische Bundesanstalt, FA Rohstoffgeologie) 1992.

Egger, H.: Zur Geologie der Nördlichen Kalkalpen und der Flyschzone in den oberösterreichischen Voralpen zwischen Ennstal, Pechgraben und Ramingbach. - Unveröff. Diss. Formal- u. Naturwiss. Fak. Univ. Salzburg, 146 S., 27 Abb., l Taf., l geol. Kt., Salzburg 1986.

Egger, H.: Die Geologie der Rhenodanubischen Flyschzone südöstlich von Steyr (Oberösterreich, Niederösterreich). - Jb. Geol. B.-A., 130/2,139-151, 5 Abb., Wien 1987.

Ehrendorfer, Th.: Zur Geologie der Weyerer Bögen im Gebiet von Großraming an der Enns (OÖ). - Mitt. Ges. Geol. Bergbaustud. Österr., 34/35, 135-149, 4 Abb., l Big., Wien 1988.

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Heinrich, M. (Projektl.): Erhebung und Darstellung geogener Naturraumpotentiale der Region Amstetten-Waidhofen/Ybbs. - Unveröff. Bericht Bund/Bundesländer-Rohstoffprojekt N-C-009g/89,27 S., 5 Abb., 14 Tab., l Big., Wien 1990.

Heinrich, M. (Projektl.): Erhebung und Darstellung geogener Naturraumpotentiale der Region Amstetten-Waidhofen/Ybbs. - Unveröff. Bericht Bund/Bundesländer-Rohstoffprojekt N-C-009g/90,25 S., 5 Abb., l Taf., 7 Tab., 3 Big., Wien 1991.

Lauer, G.: Der Kalkalpennordrand im Räume von Ybbsitz. - Mitt. Ges. Geol. Bergbaustud., 19, 103-130, 2 Abb., 2 Taf., Wien 1970.

Lipold, M. V: Das Kohlengebiet in den nordöstlichen Alpen. - Jb. k. k. Geol. R.-A., 15 (1865), 163 S., illustr., Wien 1865.

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Schnabel, W. & Ruttner, A.: Arbeitstagung der Geologischen Bundesanstalt Blatt 71 Ybbsitz. - 82 S., 22 Abb., Wien (Geologische Bundesanstalt) 1979.

Schnabel, W: Zur Geologie des Kalkalpennordrandes in der Umgebung von Waidhofen/Ybbs, Niederösterreich - Mitt. Ges. Geol. Bergbaustud., 19, 131-188, 2 Taf., 2 Tab., Wien 1970.

Thenius, E.: Niederösterreich im Wandel der Zeiten. - Führer durch die Paläontologische Sammlung des Niederösterreichischen Landesmuseums, 3. Aufl., 156 S., 9 Taf., 63 Abb., 4 Tab., Wien 1983.

Widder, R. W: Neuinterpretation des Buchdenkmalgranites - Diskussion alter und neuer Argumente. - Mitt. Geol. Bergbaustud. Österr., 33, 287-307, 9 Abb., Wien 1986.

Widder, R. W: Zur Stratigraphie, Fazies und Tektonik der Grestener Klippenzone zwischen Maria Neustift und Pechgraben/OÖ - Mitt. Ges. Geol. Bergbaustud. Österr., 34/35, 79-133, 12 Abb., l Taf., 3 Big., Wien 1988.